Opfer einer Straftat

by | Jan 12, 2019 | Strafrecht

Strafanzeige und Straf­­antrag

Bezüglich der meisten Straftatbestände des schweizerischen Strafrechts (z.B. [versuchte] schwere Körper­verletzung, [versuchte] einfache Körper­verletzung mit gefährlichem Gegenstand, Gefährdung des Lebens, [versuchte] Tötung) gilt die Offizialmaxime: Offizialdelikte sind von Amtes wegen zu verfolgen, d.h. die Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, die ihnen bekannt gewordenen Delikte zu verfolgen, auch wenn der Geschädigte oder die Geschädigte keine Strafanzeige erstattet. Allerdings müssen die Strafverfolgungsbehörden Kenntnis vom Delikt erlangen. Jede Person kann bei der Polizei eine Strafanzeige erstatten, auch wenn sie davon nicht persönlich betroffen ist. Man kann somit den Vorfall direkt auf dem Schadenplatz der Polizei melden oder später auf dem Polizeiposten oder bei der Staats­anwalt­schaft mündlich oder schriftlich Anzeige erstatten.

Bei Antragsdelikten (z.B. Sachbeschädigung und einfache Körper­verletzung) erfolgt die Straf­verfolgung durch die Straf­ver­folgungs­behörden nur, wenn eine entsprechende Willenserklärung der antrags­berechtigten Person vorliegt. Einen Strafantrag kann grundsätzlich nur erstatten, wer durch die Tat verletzt worden ist. Die Strafantragsfrist beträgt drei Monate. Die Frist beginnt ab dem Zeitpunkt, ab dem der geschädigten Person der Täter bekannt ist. Einen Strafantrag gegen «Unbekannt» einzureichen ist möglich. Strafanträge können bei einem Polizeiposten (mündlich oder schriftlich) oder bei der Staats­anwalt­schaft (schriftlich) gestellt werden. Der Antrag muss den Sachverhalt präzisieren, der Gegenstand der Strafverfolgung sein soll. Nicht erforderlich hingegen ist, dass die Antragserklärung bereits eine rechtliche Würdigung vornimmt, d.h. die richtigen Straftatbestände benannt werden. Ein Strafantrag kann bis zur Verkündung des Urteils der zweiten kantonalen Instanz wieder zurückgezogen werden.

Konstituier­ung als Privat­­kläger­­schaft

In der Schweizerischen Straf­prozess­ordnung wird klar definiert, wer in einem Strafverfahren welche Prozessrolle hat. Bei den von einer Straftat direkt betroffenen Personen wird zwischen «geschädigten Personen» und «Opfern» unterschieden. Die geschädigte Person erfasst alle durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzten Personen (z.B. Eigentümer eines beschädigten Fahrzeuges). Als Opfer werden hingegen nur jene Personen bezeichnet, die durch die Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden sind (z.B. Opfer einer Körper­verletzung). Diese Unterscheidung ist von Bedeutung. Dem Opfer (jedoch nicht der geschädigten Person, die nicht zugleich Opfer ist) steht eine Reihe von Rechten zu, unbesehen davon, ob es sich als Privatklägerschaft konstituiert (z.B. wird das Opfer über die Anordnung und Aufhebung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft sowie über eine Flucht der beschuldigten Person informiert).

Weiter wird im Strafverfahren zwischen «Parteien» und «anderen Verfahrensbeteiligte» unterschieden. Parteien haben andere bzw. mehr Verfahrensrechte als andere Verfahrensbeteiligte. Zu den Parteien gehören die beschuldigte Person, das Opfer (bzw. die geschädigte Person), das sich als Privatklägerschaft konstituiert hat, sowie vor Gericht die Staatsanwaltschaft. Opfer (bzw. geschädigte Personen), die sich nicht als Privatkläger konstituiert haben, Anzeigeerstatter und Zeugen etc. gelten als andere Verfahrensbeteiligte. Nur die Parteien haben das Recht, Akten einzusehen, an Verfahrenshandlungen teilzunehmen (z.B. Befragung des Beschuldigten), einen Rechtsbeistand beizuziehen (die unentgeltliche Rechtspflege bei der Privatklägerschaft ist allerdings auf die Zivilklage beschränkt), sich zur Sache und zum Verfahren zu äussern und Beweisanträge zu stellen.

Will sich die geschädigte Person bzw. das Opfer aktiv am Strafverfahren beteiligen, so muss es sich als Privatklägerschaft konstituieren. Eine entsprechende Erklärung (z.B. „ich konstituiere mich im Verfahren gegen … wegen… als Privatkläger/in im Straf- und/oder Zivilpunkt“) ist gegenüber der Strafverfolgungsbehörde bis spätestens zum Abschluss des Vorverfahrens, d.h. bis zur Anklageerhebung abzugeben. Die Staatsanwaltschaft hat das Opfer (nicht aber die geschädigte Person, die nicht zugleich Opfer ist) darauf hinzuweisen, dass und bis wann es sich als Privatklägerschaft konstituieren kann. Diese Information erfolgt in der Regel über Formulare. Die geschädigte Person bzw. das Opfer kann sich als Strafkläger/in, Zivilkläger/in oder beides konstituieren. Mit der Strafklage wird die Verfolgung und Bestrafung der für die Straftat verantwortlichen Person verlangt. Mit der Zivilklage macht die geschädigte Person bzw. das Opfer adhäsionsweise privatrechtliche Ansprüche geltend, die aus der Straftat abgeleitet werden (Schadenersatz und/oder Genugtuung). Ein Strafantrag bei Antragsdelikten führt automatisch, d.h. ohne eine weitere Erklärung, zur Konstituierung als Privatklägerschaft. Der Strafantrag gilt mit anderen Worten als Erklärung, sich als Straf- und Zivilkläger/in am Verfahren beteiligen zu wollen.

Zivilklage

Die Strafprozess­ordnung sieht ein sogenanntes «Adhäsions­verfahren» vor. Dies hat für die geschädigte Person den grossen Vorteil, dass sie ihre zivilrechtlichen Ansprüche nicht noch in einem separaten Zivilverfahren vor dem Zivilgericht geltend machen muss, sondern dass das Strafgericht ebenfalls über die Zivilforderung (z.B. aus Schadenersatz oder Genugtuung) entscheidet. Zwischen Straftat und zivilrechtlicher Forderung muss ein Kausalzusammenhang bestehen und die geschädigte Person muss sich mindestens im Zivilpunkt als Privatklägerin konstituieren. Im Adhäsions­verfahren ist die Privatklägerin weitgehend von der Leistung eines Gerichts­kosten­vor­schus­ses befreit. Von den strafrechtlichen Ermittlungs­ergebnis­sen kann sie unmittelbar profitieren und zusätzlich eigene Beweisanträge stellen. Somit ist eine Adhäsionsklage kostengünstiger und weniger aufwendig als ein Zivilprozess, weil die Privatklägerin nicht den gesamten Sachverhalt selber beweisen muss. Wird die Zivilklage ungenügend beziffert oder begründet, muss das Strafgericht diese – anders als im gewöhnlichen Zivilprozess – auf den Zivilweg verweisen, d.h. die geschädigte Person kann die Klage vor Zivilgericht erneut einbringen. Wird das Strafverfahren durch Strafbefehl erledigt (in der Kompetenz der Staatsanwaltschaft liegt eine Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten oder Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen), so wird die Klage auf den Zivilweg verwiesen und die geschädigte Person muss ans Zivilgericht gelangen. Bei Gutheissung der Klage erhält die geschädigte Person einen definitiven Rechts­öffnungs­titel im Zwangs­voll­streckungs­verfahren.

Verletzte Personen beispielsweise können eine Schadenersatz- oder Genug­tuungs­klage gegen die Täter einreichen. Wenn der Schaden bereits durch eine Versicherung gedeckt ist, können die Privat­kläger(innen) nur noch die Bezahlung einer Genug­tuungs­leistung fordern. Bei Körper­verletzungen schulden die Täter den Opfern i.d.R. eine Genug­tuung, wenn die Verletzung bleibende Folgen hat, schwer ist, das Leben bedroht, einen längeren Kranken­haus­aufent­halt nötig macht, eine längere Arbeits­un­fähig­keit zur Folge hat oder mit besonders starken oder lang an­haltenden Schmerzen verbunden ist. Können die Täter für die Kosten nicht aufkommen, so erbringt die Opfer­hilfe subsidiär finanzielle Leistungen.