Änderung Strafprozessordnung, Januar 2024
Änderung der Strafprozessordnung ab dem 1. Januar 2024
Am 1. Januar 2024 treten die vom Parlament im Juni 2022 beschlossenen Änderungen der Schweizerischen Strafprozessordung (StPO) in Kraft. Die wichtigsten Änderungen werden nachfolgend zusammengefasst.
1. Ausschluss der Beschwerdemöglichkeiten der Staatsanwaltschaft gegen Haftentscheide des Zwangsmassnahmengerichts
Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet auf Antrag der Staatsanwaltschaft, ob eine Person in Untersuchungshaft genommen wird. Gegen einen ablehnenden Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts kann die Staatsanwaltschaft keine Beschwerde mehr einlegen (Art. 222 StPO, Art. 81 Abs. 1 Bst. B Ziff. 3 BGG). Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung bereits im Jahre 2023 angepasst.
2. Neuerungen beim Strafbefehlsverfahren
Die Staatsanwaltschaft muss die beschuldigte Person einvernehmen, wenn sie beabsichtigt, im Strafbefehl eine zu verbüssende Freiheitsstrafe zu erlassen (Art. 352a StPO). Als zu verbüssende Freiheitsstrafe gilt nicht nur eine unbedingte oder teilbedingte Freiheitsstrafe, sondern auch der Widerruf eines bedingt gewährten Vollzugs einer Freiheitsstrafe.
Neu erhält die Staatsanwaltschaft die Kompetenz, über bestrittene Zivilforderungen bis zu einem Betrag von CHF 30‘000.00 im Strafbefehlsverfahren zu entscheiden. Voraussetzung dafür ist, dass deren Beurteilung ohne weitere Beweiserhebungen möglich ist. Wenn die Forderung von der beschuldigten Person anerkannt wird, kann sie ungeachtet des Streitwertes entscheiden.
Die Privatklägerschaft ist neu explizit zur Einsprache legitimiert. Hinsichtlich der ausgesprochenen Strafe ist sie hingegen weiterhin nicht zur Einsprache befugt.
3. Neuerungen im Bereich der Zivilklage und der geschädigten Person
Die Privatklägerschaft kann die Zivilklage nicht mehr wie bis anhin erst an der Hauptverhandlung beziffern und begründen. Die Verfahrensleitung setzt eine Frist für die Bezifferung und Begründung der Zivilklage. Die Parteien sind somit vor der Hauptverhandlung über die Art, Höhe und Begründung der Zivilforderung informiert.
Die Staatsanwaltschaft informiert alle geschädigten Personen über den Abschluss der Untersuchung und setzt ihnen eine Frist, innerhalb welcher sie sich als Privatklägerschaft konstituieren und Beweisanträge stellen können.
Bei Ehrverletzungsdelikten (z.B. üble Nachrede, Verleumdung, Beschimpfung) kann die Staatsanwaltschaft für Kosten und Entschädigungen eine Sicherheitsleistung anordnen.
4. Neuerungen im Bereich der Opferrechte
Neu hat ein Opfer das Recht, das Urteil oder den Strafbefehl gegen die Täterschaft unentgeltlich zu erhalten. Auch dann, wenn es sich nicht als Partei am Strafverfahren beteiligt.
Zudem wird dem Opfer die unentgeltliche Rechtspflege gewährt, wenn es einzig eine Straf- jedoch keine Zivilklage erhebt. Voraussetzung dafür ist, dass die Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Strafklage nicht aussichtslos erscheint. Das Opfer ist zur Rückerstattung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht verpflichtet.
5. Neuerungen im Bereich der Zwangsmassnahmen
Die neuen StPO-Bestimmungen legen nun ausdrücklich die Voraussetzungen fest, unter denen ein DNA-Profil erstellt werden darf, wenn es zur Aufklärung der Anlasstat zwar nicht erforderlich ist, aber zur Aufklärung anderer begangener oder zukünftiger Straftaten gebraucht werden könnte: Von der beschuldigten Person kann eine Probe genommen und ein DNA-Profil erstellt werden, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, sie könnte weitere Verbrechen oder Vergehen begangen haben (Art. 255 Abs. 1bis StPO). Das wäre gemäss Botschaft etwa dann zu bejahen, wenn eine Person bei einem Einbruchdiebstahl in flagranti erwischt wird, und dabei eine professionelle Ausrüstung an Einbruchswerkzeugen mitführt. Dagegen würde es nicht genügen, dass die Person aus einem bestimmten Land stammt.
Soweit das Bundesrecht Blutuntersuchungen vorschreibt, kann die Polizei selbständig einen Bluttest anordnen. Dasselbe gilt für Urinanalysen. Das Strassenverkehrsgesetz schreibt Blutuntersuchungen nur noch in Ausnahmefällen vor – etwa bei Verdacht auf Drogen- oder Medikamentenkonsum, bei einem Nachtrunk, bei einer Atemwegserkrankung oder nach Unfällen. In den übrigen Fällen ordnet die Polizei eine Atemalkoholprobe an.
6. Neuerungen im Siegelungsrecht
Der Siegelungsantrag muss neu innert drei Tagen nach der Sicherstellung gestellt werden. Ebenso werden die Siegelungsgründe eingeschränkt. Art. 248 StPO verweist auf die Beschlagnahmeverbote gemäss Art. 264 StPO. Es geht dabei um Verteidigerkorrepondenz, persönliche Aufzeichnungen/Korrespondenz der beschuldigten Person, wenn ihr Interesse am Schutz der Persönlichkeit das Strafverfolgungsinteresse überwiegt, Gegenstände/Unterlagen der beschuldigten Person aus dem Verkehr mit zeugnisverweigerungsberechtigten Personen gemäss Art. 170-173 StPO (z.B. Arzt, Psychologe oder Apotheker) und Anwaltskorrespondenz Dritter. Das Bankkundengeheimnis oder etwa das Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnis kommen als Siegelungsgründe nicht mehr in Frage.
Die Stellungnahme zum Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft muss in einer nicht erstreckbaren Frist von 10 Tagen eingereicht werden. In der bisherigen Praxis wurden solche Fristen oft über mehrere Wochen und Monate hinweg richterlich erstreckt.