Teilnahmepflicht an Vergleichsverhandlungen
Teilnahmepflicht an Vergleichsverhandlungen im Strafverfahren
Frage: Ich habe Strafantrag wegen einfacher Körperverletzung gestellt. Die Staatsanwaltschaft hat mich zu einer Vergleichsverhandlung vorgeladen. Muss ich dort hingehen?
Antwort: Ja, bei einer einfachen Körperverletzung handelt es sich um ein Antragsdelikt. Es empfiehlt sich, an die Vergleichsverhandlung hinzugehen. Der Strafantrag gilt als zurückgezogen, wenn die Antrag stellende Person der Vergleichsverhandlung fernbleibt. Dies hat das Bundesgericht mit Urteil vom 19. Juli 2023 (7B_129/2022) erneut entschieden. Es genügt nicht, wenn die Privatklägerschaft der Staatsanwaltschaft lediglich mitteilt, sie sei an einem Vergleich nicht interessiert. Hält die Staatsanwalt die Vorladung zur Vergleichsverhandlung aufrecht, ist die Teilnahme an der Vergleichsverhandlung obligatorisch. Es gilt eine unbedingte Erscheinungspflicht nach Art. 205 StPO. Hingegen hat die Privatklägerschaft keine Verpflichtung, ihren Strafantrag an der Vergleichsverhandlung zurückzuziehen.
Das Bundesgericht begründet diese Praxis folgendermassen: Ein Vergleich stelle eine aussergerichtliche Form der Konfliktbewältigung dar, die es den Parteien ermögliche, eine Lösung zu finden, die ihnen besser entspreche als eine strafrechtliche Sanktion. Die Verfahrensleitung versuche, eine Einigung zwischen den Parteien in Form einer übereinstimmenden Willenserklärung herbeizuführen, mit dem Ziel, dass die Antrag stellende Person ihren Strafantrag zurückzieht und die beschuldigte Person als Ausgleich eine Entschuldigung, Genugtuung oder Schadenersatz leistet. In der Praxis erfordere das Vergleichsverfahren regelmässig eine Gegenüberstellung und das Mitwirken der geschädigten und der beschuldigten Person, um das Verfahren aussergerichtlich zu beenden. Die direkte Konfrontation zwinge die Parteien, sich mit den Standpunkten des Gegenübers auseinanderzusetzen und darauf einzugehen. Dies erleichtere erfahrungsgemäss die Konfliktbewältigung. Eine gemeinsam gefundene Lösung finde bei den Parteien eine stärkere Akzeptanz als ein von staatlicher Seite “aufgezwungenes Ergebnis”.
Ein Nichterscheinen an einer Vergleichsverhandlung gilt als unentschuldigte Abwesenheit. Damit kommt die Rückzugsfiktion gemäss Art. 316 Abs. 1 Satz 2 StPO zum Tragen. Danach gilt der Strafantrag als zurückgezogen, wenn die Antrag stellende Person der Vergleichsverhandlung fern bleibt.
7B_129/2022 19.07.2023 – Schweizerisches Bundesgericht (bger.ch)