Teilnahme­­­pflicht an Verglei­­chs­ver­hand­lungen

by | Sep 2, 2023 | Strafrecht

Teilnahme­pflicht an Ver­gleichs­verhand­lungen im Straf­ver­fahren

Frage: Ich habe Strafantrag wegen einfacher Körperverletzung gestellt. Die Staatsanwaltschaft hat mich zu einer Vergleichsverhandlung vorgeladen. Muss ich dort hingehen?

Antwort: Ja, bei einer einfachen Körperverletzung handelt es sich um ein Antragsdelikt. Es empfiehlt sich, an die Vergleichs­verhandlung hinzugehen. Der Strafantrag gilt als zurückgezogen, wenn die Antrag stellende Person der Vergleichsverhandlung fernbleibt. Dies hat das Bundesgericht mit Urteil vom 19. Juli 2023 (7B_129/2022) erneut entschieden. Es genügt nicht, wenn die Privatklägerschaft der Staatsanwaltschaft lediglich mitteilt, sie sei an einem Vergleich nicht interessiert. Hält die Staatsanwalt die Vorladung zur Ver­gleichs­ver­handlung aufrecht, ist die Teilnahme an der Ver­gleichs­verhandlung obligatorisch. Es gilt eine unbedingte Erscheinungspflicht nach Art. 205 StPO. Hingegen hat die Privat­klägerschaft keine Verpflichtung, ihren Strafantrag an der Ver­gleichs­ver­handlung zurück­zuziehen.

Das Bundesgericht begründet diese Praxis folgender­massen: Ein Vergleich stelle eine ausser­gerichtliche Form der Konfliktbewältigung dar, die es den Parteien ermögliche, eine Lösung zu finden, die ihnen besser entspreche als eine strafrechtliche Sanktion. Die Verfahrensleitung versuche, eine Einigung zwischen den Parteien in Form einer übereinstimmenden Willenserklärung herbeizuführen, mit dem Ziel, dass die Antrag stellende Person ihren Strafantrag zurückzieht und die beschuldigte Person als Ausgleich eine Ent­schuldig­ung, Genug­tuung oder Schaden­ersatz leistet. In der Praxis erfordere das Vergleichsverfahren regel­mässig eine Gegen­über­stellung und das Mitwirken der geschädigten und der beschuldigten Person, um das Verfahren aussergerichtlich zu beenden. Die direkte Konfrontation zwinge die Parteien, sich mit den Standpunkten des Gegenübers auseinander­zusetzen und darauf einzugehen. Dies erleichtere erfahrungs­gemäss die Konflikt­bewältigung. Eine gemeinsam gefundene Lösung finde bei den Parteien eine stärkere Akzeptanz als ein von staatlicher Seite “aufge­zwungenes Ergebnis”.

Ein Nichterscheinen an einer Vergleichs­verhandlung gilt als un­ent­schuldigte Abwesenheit. Damit kommt die Rückzugs­fiktion gemäss Art. 316 Abs. 1 Satz 2 StPO zum Tragen. Danach gilt der Strafantrag als zurückgezogen, wenn die Antrag stellende Person der Ver­gleichs­verhandlung fern bleibt.

7B_129/2022 19.07.2023 – Schweizerisches Bundesgericht (bger.ch)