Schuldfähig bei Fahren im Rauschzustand
Schuldfähigkeit bei Fahren im Rauschzustand?
Der Beschwerdeführer war wegen Irreführung der Rechtspflege und des Fahrens in fahrunfähigem Zustand durch das Kantonsgericht Graubünden zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen à CHF 120.00 sowie einer Busse von CHF 1‘440.00 schuldig gesprochen worden. Das Kantonsgericht sah es als erwiesen an, dass er um 04.00 Uhr unter Einfluss von mindestens 0.86 resp. 0.92 Gewichtspromille Alkohol und mehr als 500 µg/L MDMA ein Motorfahrzeug lenkte.
Vor Bundesgericht brachte er vor, er sei vom Vorwurf des Fahrens in fahrunfähigem Zustand freizusprechen, da die Schwere der Betäubungsmittelintoxikation zum Tatzeitpunkt, insbesondere betreffend MDMA, nicht ermittelt worden sei. Da diese auch nicht mehr ermittelt werden könne, sei im Zweifel von einem Sachverhalt auszugehen, der zur Annahme von Schuldunfähigkeit und Amnesie während und nach der Ereigniszeit führe.
Das Bundesgericht wies die Beschwerde in Strafsachen aus folgenden Gründen ab:
Unter Fahrunfähigkeit versteht das Bundesgericht die momentane körperliche und geistige Befähigung, ein Fahrzeug während der gesamten Fahrt sicher zu führen. Gründe für eine Fahrunfähigkeit können Alkohol-, Betäubungsmittel-, Medikamenteneinfluss oder andere Gründe (insbesondere Übermüdung) sein. Bei einer Blutalkoholkonzentration von 0.5 Promille und mehr bzw. einer Atemalkoholkonzentration von 0.25mg Alkohol oder mehr pro Liter Atemluft, liegt gemäß Gesetz Fahrunfähigkeit vor. In Sachen Drogen gilt die Nulltoleranz.
Die Fahrunfähigkeit gilt als erwiesen, wenn im Blut des Fahrzeuglenkers MDMA nachgewiesen wird. Der Nachweis ist erbracht, wenn der Messwert im Blut den Grenzwert von 15µg/L erreicht oder überschreitet.
War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht der Tat einzusehen oder gemäß dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar (Art. 19 Abs. 1 StGB). Gründe für eine Schuldunfähigkeit im Sinne von Art. 19 StGB können in einer Bewusstseinsstörung durch schwere Intoxikation liegen. Bei Alkohol bietet die Blutalkoholkonzentration lediglich eine Orientierungshilfe. Im Sinne einer groben Faustregel geht die Rechtsprechung davon aus, dass bei einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 3 Promille meist Schuldunfähigkeit vorliegt. Bei einer Blutalkoholkonzentration im Bereich zwischen 2 und 3 Promille besteht danach im Regelfall die Vermutung für eine Verminderung der Schuldfähigkeit. Diese Vermutung kann jedoch im Einzelfall durch Gegenindizien umgestossen werden. Vorrang haben konkrete Feststellungen über Alkoholisierung oder Nüchternheit. Ausschlaggebend für die Beeinträchtigung von Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ist der psychopathologische Zustand (der Rausch), und nicht dessen Ursache, die sich in der Blutalkoholkonzentration widerspiegelt. Wegen unterschiedlicher Gewöhnung und erheblicher inter- und intraindividueller Wirkungsunterschiede sind Blutserumskonzentrationen allein in der Regel kein geeignetes Mass für die mögliche forensisch relevante Beeinträchtigung des psychischen Zustands zum Tatzeitpunkt. Zu berücksichtigen sind etwa die Persönlichkeitsstruktur des Täters, sein Verhalten während oder nach der Tat.
Wer fahrunfähig ist, muss daher nicht zugleich schuldunfähig sein.
Das Kantonsgericht ging gestützt auf ein forensisch-psychiatrisches Gutachten sowie zwei toxikologische Gutachten davon aus, dass die Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers aufgrund der MDMA-Intoxikation resp. Mischintoxikation zwar beeinträchtigt, aber nicht aufgehoben war, sodass diesem Umstand lediglich bei der Strafzumessung Rechnung zu tragen sei.
Der am Tattag um 07.40 Uhr ermittelte MDMA-Wert hatte mehr als 500 µg/L betragen, wobei eine genaue Rückrechnung auf die Konzentration des MDMA zum Tatzeitpunkt nicht möglich war (u.a. wegen nicht linearen Abbaus des MDMA im menschlichen Körper und einer fehlenden exakten Bestimmung der MDMA-Konzentration in der Blutprobe).
Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass es für die Schuldfähigkeit und die geltend gemachte Amnesie nicht auf die exakte Bestimmung der MDMA-Konzentration zur Tatzeit ankomme. Die Gutachter hätten keinen Vorhalt gemacht, dass bei Kenntnis des exakten Werts eine Rückrechnung möglich würde und mit Blick auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ein anderer Schluss zu ziehen wäre. Das Kantonsgericht durfte somit von einer lediglich schweren Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ausgehen.
Urteil des Bundesgerichts 6B_499/2023 vom 5. September 2023: 6B_499/2023 05.09.2023 – Schweizerisches Bundesgericht (bger.ch)